Pure emotion around heritage, craftsmanship and innovation.
Hans Hansen gehört zu den wichtigsten Fotografen der letzten Jahrzehnte.
Mit seiner Klarheit hat er den Blick auf Produkte und Alltagsgegenstände für immer verändert.
Ein Gespräch über Glück und Karriere, seine Faszination für Automobile –
und die Frage, warum er seine gesamte Sammlung jetzt einem Museum in Hamburg übergeben hat.
Nansen & Piccard: Herr Hansen, Sie haben keine fotografische Ausbildung und sind doch zum stilprägenden -Fotografen geworden. Hatten Sie einfach Glück – oder schon früh eine klare -Vision von ihrer Karriere?
Hans Hansen: Beides. Eine klare Vorstellung von dem, was ich wirklich wollte. Und sehr viel Glück.
Sie haben an der Kunstakademie Düsseldorf eigentlich Grafik studiert. Wie wurden Sie zum Fotografen?
Zunächst einmal habe ich vor dem Studium eine Lehre zum Lithografen absolviert und wollte eigentlich in Stuttgart Typografie studieren. Das hat leider nicht geklappt. Dann habe ich unter Walter Breker ein Grafikstudium an der Kunstakademie Düsseldorf angefangen. Dazu muss ich erklären, dass es damals zwei Studiengänge gab: Einmal die «angewandte Grafik», die nah an der Werbung war, und die «freie Grafik», die zur Kunst gehörte. Ich studierte angewandte Grafik. In meiner Klasse habe ich übrigens auch Bernd und Hilla Becher kennengelernt – beide deutlich älter als ich, aber beide ebenfalls nicht auf dem Kunstzweig.
Wieso haben Sie nicht einfach Fotografie studiert?
Zu meiner Zeit gab es einfach noch keine Fotografie an der Akademie. Aber natürlich: Mein Interesse lag in der Arbeit mit der Kamera, und ich begeisterte mich früh für die Kombination aus Fotografie und Grafik.
Dieser grafische Blick wurde später zu einem Leitmotiv in ihrer fotografischen Arbeit. Ihr vielleicht berühmtestes Werk ist der in seine 7000 Einzelteile sortierte VW Golf, Baujahr 1988.
Genau. Das hat damals übrigens vier Tage gedauert, bis ich das Bild machen konnte … Aber in meinem -Studium musste ich mich mit ganz anderen Dingen beschäftigen. An der Akademie wurde einfach nur Grafik unterrichtet – von der Buchgestaltung bis zum Plakat. Keine Fotografie, obwohl damals Fotografien schon esseniell für jede Werbung waren.
War es für Sie damals schon klar, dass Sie Werbung machen wollten?
Die Werbung war mir zu Beginn meiner Karriere zwar nicht fremd. Ich hatte auch ein gewisses Interesse daran, aber das war nicht das, was ich hauptsächlich machen wollte. Da war ich zu Beginn gar nicht festgelegt. Ich wollte nicht unbedingt Werbung machen – aber auch keine Kunst. Kunst war für mich nie ein Thema. Ich wollte einfach fotografieren.
Das klingt so, als ob die Kunstakademie nicht ganz der richtige Ort für Sie war…
Ich hatte einfach andere Interessen als mein Professor. Ich wollte fotografieren und er wollte zum Beispiel in einem Semester, dass ich mich mit Linolschnitt beschäftige. Ich war kein Rebell, mochte noch nie Konflikte. Also habe ich mich gefügt und dem Linolschnitt gewidmet. Dafür habe ich mich dann in meine Studentenbude eingeschlossen und jeden Tag an dem Projekt gearbeitet – einfach, weil ich möglichst schnell mit dem Thema durch sein wollte. Das habe ich so konsequent gemacht, dass ich gar nicht mehr in die Akademie gegangen bin. Eines Tages, am Ende des Sommersemesters, habe ich dann einen Brief vom Direktor der Akademie erhalten. Persona non grata. Rauswurf. Das war’s dann. Das war 1962. Ab da war ich plötzlich auf mich allein gestellt.
Wie ging es für Sie weiter, nachdem Sie von der Kunstakademie geflogen sind?
Dann habe ich einfach angefangen zu arbeiten. Naja, musste ich ja. Glücklicherweise ergab sich ein Zufall mit einem finnischen Designer, einer der ganz grossen Namen. Wir hatten ein langes, unglaubliches Gespräch über Formsprache und alles mögliche und als Dank für das Gespräch habe ich ihm ein Foto aus meinem Portfolio geschenkt. Anscheinend konnte ich ihn mit dem Bild beeindrucken, weil er mich einige Zeit später kontaktierte und fragte, ob ich nicht Lust hätte, für ihn seine Glasobjekte zu fotografieren.
Wer war dieser Designer?
Das war Tapio Wirkkala, ein wirklich grosser Name zu der Zeit. Seine Glasarbeiten für ihn zu fotografieren, das war nach der Akademie nicht nur ein Glücksfall für mich, sondern auch eine riesige Chance als junger Fotograf. Ich bewunderte seine Arbeit seit langem, und zwar besonders die Glasobjekte. Und die durfte ich jetzt fotografieren, für einen weltweit berühmten Designer, als zweiundzwanzigjähriger Nobody! Das war der Anfang meiner Karriere und mein erster Auftrag. Meine Glassammlung nahm damals ihren Anfang und befindet sich jetzt auch im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg.
Konnten Sie seine Erwartungen erfüllen?
Der Auftrag war zum Glück ein Erfolg. Da ich seine Glaswerke schon davor kannte, hatte ich eine sofort eine Vorstellung, wie ich sie fotografieren wollte. Ich hatte bei dem Projekt auch viele Freiheiten. Wirkkala war deutlich älter als ich und merkte, dass ich mich im Bereich der Fotografie gut auskannte. Er meinte dann einfach: Mach mal! Also habe ich einfach mal gemacht, wie ich es für richtig hielt und habe ihm die Fotos anschliessend geschickt. Er war sehr zufrieden, sie wurden publiziert und so begann meine Karriere in der Werbefotografie.
Sie machten auch Kampagnen für die Lufthansa, nachdem Otl Aicher das legendäre Erscheinungsbild für die Fluglinie entwarf.
Ja, aber mein Einstieg war viel banaler. Zunächst sollte ich kleine Aufgaben übernehmen. Geschenkartikel fotografieren, so was eben. Das habe ich natürlich ganz artig gemacht und das war auch gut für mich. Denn abgesehen von dem ersten Auftrag für Wirkkala hatte ich im professionellen Bereich der Fotografie noch gar keine Erfahrungen. Es war viel Learning by Doing. Am Ende der Aufträge blieb auch nicht viel Geld übrig. Denn das ganze eingenommene Geld musste ich direkt ins nächste Projekt investieren. Obwohl ich mit meinen Materialien schon auf Sparflamme war. So ging es erstmal eine ganze Zeit weiter, bis mich Lufthansa dann eines Tages für ein Projekt nach Madrid schickte. Ich sollte unterwegs die Bilder im Flugzeug machen. Das war etwas Besonderes – Frankfurt-Madrid war damals die längste Flugstrecke in Europa. Ich packte also meine Nikons, meinen Pass und ein bisschen Geld ein und stieg in das Flugzeug. Die Bilder sind dann ganz gut geworden und so fing es an, dass ich weiterhin auf Flüge geschickt wurde. Erstmal nach Boston, dann kamen weitere Reisen nach Amerika, Afrika, Asien, in die Karibik. -Unterwegs konnte ich immer wieder neue Kontakte knüpfen und mich vernetzen. Im Endeffekt entwickelte sich durch die Arbeit bei der Lufthansa ein Kontakt zu einer Agentur aus New York, die damals Sachen für Volkswagen machte.
Ihre Karriere baut also darauf auf, dass sie das Glück hatten, die Welt bereisen zu dürfen?
Ich hatte vor allem das Glück, dass die Maschine, die mich von Madrid wieder nach Deutschland bringen sollte überbucht war und ich drei Tage in der spanischen Hauptstadt festhing. Was sollte ich also dort machen?
Fotos?
Genau. Ich habe Fotos gemacht, die Stadt fotografiert, eher Postkartenmotive. Das fanden sie bei Lufthansa ganz toll. Und sie fragten mich: Wollen Sie nicht mal nach Boston fliegen und dort für uns Fotos machen?
Heute hat jeder Zugang zu einer Kamera. Die Technologie ist so weit, dass jeder von zuhause aus Bilder künstlich generieren lassen kann. Wie stehen Sie zur gegenwärtigen Entwicklung?
Ganz ehrlich: Ich bin dem ganzen eher kritisch gestimmt. Ich denke, wenn wir die K.I. nicht beherrschen, dann haben wir verloren. Die Fotografie stürzt dann ab und zwar sehr schnell. Sie wird verschwinden.
Ihr Einfluss auf die zeitgenössische Produktfotografie der letzten Dekaden ist gewaltig. Ohne ihren Blick auf Produkte und Gegenstände wären moderne Markendarstellungen wie von Apple kaum vorstellbar. Was fasziniert Sie an der Produktfotografie?
Ich interessiere mich gar nicht grundsätzlich für bestimmte Produkte. Klar, ich habe immer wieder Autos, Flugzeuge und auch Glas fotografiert, aber mich interessiert fundamental, was sich dahinter verbirgt. Wir leben in einer «Dingwelt» und alles, was natürlich ist, ist weit weg. Unsere Umwelt, um bei unserer Sprache zu bleiben, ist zunächst einmal materialistisch. Alles, was wir benutzen, alles um uns herum, war wir anziehen, völlig egal was – es ist alles künstlich. Auf der einen Seite interessiert mich natürlich auch der Aspekt der Oberflächen, aber mich fasziniert viel mehr, wer oder was hinter einem Produkt steckt und warum eine Person dieses Ding kreiert hat.
Mehr als 60 Jahre fotografieren Sie mittlerweile. Sie haben für namhafte Kunden wie Porsche, Mercedes oder Vitra gearbeitet, ihre Arbeiten wurden in «Life» oder «Paris Match» gedruckt. Gibt es einen Auftrag, den Sie nie vergessen werden?
Viele. Anekdoten gibt es zahlreich. In der Tat ist mir aber erst letzte Nacht wieder ein extremes Erlebnis eingefallen. Bei einer Produktion für Fiat war ich Anfang der 1970er-Jahre in Turin. Damals habe ich schon für die New Yorker Agentur Carl Ally gearbeitet. Ich sollte parallel zu einem Filmteam für einen Werbespot Fotos machen. Wir haben zuerst in Rom gearbeitet, dann in Turin. Bei dem Spot ging es darum, dass der neue Fiat 124 durch wirklich extreme Szenarien flitzt. In Turin sollte eine Szene geschossen werden, in dem das Auto von einem Dach auf ein anderes durch die Luft fliegt. Auf dem einen Dach wurde eine Rampe in den Boden zementiert und auf dem anderen eine Landepiste mit einer riesigen Wand aus Metallrohren, damit das Fahrzeug nicht in die Klimaanlage der Fabrik rauscht. Das Ganze wurde zuvor von dem Stuntman genau berechnet. Dahinter steckte an sich ein Riesenaufwand und es waren auch unglaublich viele Leute daran beteiligt.
Was war Ihre Aufgabe bei dem Shoot?
Ich stand unten zwischen den zwei Gebäuden mit meinem Assistenten und sollte die Momentaufnahme von dem Fiat in der Luft einfangen. Wir wussten davor, dass die ganze Aktion keine sechs Sekunden dauern würde, ein Bruchteil davon in der Luft. Es gab nur diese eine Möglichkeit für das perfekte Bild. Dann kam der Sprung, und jede meiner sechs Motorkameras schossen einen Film durch.
Haben Sie den Moment eingefangen?
Ja. Aber das Foto war am Ende ganz langweilig. Man sah halt zwei Häuser und dazwischen dieses Auto in der Luft stehen. Im Prinzip haben wir das danach noch mal in Neapel gemacht. Da sprang das Auto dann auf eine Fähre.
Also lieber Produktfotografie…
Ich habe zum Glück oft Leute getroffen, die einfach gesagt haben: Wollen Sie nicht mal? Carte Blanche. Machen Sie einfach, was Sie wollen, fertig. Deswegen hätte ich auch totale Schwierigkeiten heute. Das Scheussliche hat die Welt verändert. Und der Zeitdruck auch. Mich interessieren die stillen Dinge und um die zu zeigen, braucht man Zeit. Die habe ich damals bei dem zerlegten Golf bekommen.
Warum haben Sie immer wieder Autos fotografiert?
Die Faszination am Auto liegt für mich darin, dass alles am Auto gemacht ist, alles ist gestaltet, nicht nur äusserlich, sondern auch alles, was man nicht sieht. Es ist hochtechnologisch, und wenn es gut ist, ist es ein wunderschönes Objekt. Man setzt sich rein, es ist bequem, man sitzt gut, man weiss genau bei jedem Griff, wozu der Griff da ist. Man dreht einen Schlüssel um, zumindest im klassischen Automobil, man hat plötzlich eine unglaubliche Kraft zur Verfügung. Man fährt, wenn ich das eine Pedal drücke, 200 km/h und wenn ich auf ein anderes Pedal trete, bleibt das Ding in ein paar Sekunden stehen. Aus dieser Faszination kommt man nicht raus.
Sie haben sich dafür entschieden, Ihr Lebenswerk mit mehr als 10.000 eigenen Motiven und auch Ihre gesamte Fotosammlung dem Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg zu übergeben. Darunter auch Arbeiten von unter anderen Irving Penn, Joel Sternfeld, Barbara Klemm und Bruce Weber. Was hat Sie dazu bewogen?
Das war keine Entscheidung, die ich von heute auf morgen getroffen habe. Ich habe mir lange darüber Gedanken gemacht, was ich mit meinem Archiv und der Sammlung machen kann. Die Idee der Schenkung hat sich über die Zeit entwickelt. Sie kam mir zum ersten Mal, als ich Teil einer Ausstellungsserie wurde, zu der die Kuratorin des MK&G über mehrere Jahre lang Fotografen eingeladen hatte. Die Fotografen sollten ihre eigenen Bilder mit Fotos aus der Sammlung des Museums zusammenstellen. Als ich mir meine Ausstellung ansah, bemerkte ich ein regelrechtes Wechselspiel, die Arbeiten lebten auf eine Art. Es entstand etwas Besonderes: eine Transparenz. Eines Tages bin ich dann zu der Kuratorin gegangen und habe gesagt: Ich würde euch alles geben, wenn ihr es wollt.
Das klingt nach einer sehr grossen Entscheidung. Wie hat die Kuratorin darauf reagiert?
Sie war erfreut und hat das Angebot angenommen. Andere Leute kamen aber zu mir und fragten, warum ich das gemacht habe. Ich finde, meine Sammlung hat einfach in das Haus gepasst. Für mich war das eine glückliche Lösung. Jetzt kann sich jeder meine Sammlung ansehen, und das ist doch eine gute Lösung.
In Ihrer Sammlung befinden sich auch unter Anderem -einige Arbeiten junger Fotografinnen und Fotografen. Wie wichtig war es für Sie, junge Talente zu unterstützen und zu fördern?
Ich treffe oft junge Fotografen und Fotografinnen bei Workshops oder wenn ich unterrichte. Manchmal bewerben sich auch einige als Assistenten und manchmal bringen diese Talente ganz tolle Fotos mit und dann sage ich: «Komm, ich kauf dir ein paar Fotos ab.» Oder wenn ich den Eindruck habe, ich kann diese Person unterstützen, dann mache ich das. Ich finde das ganz wichtig, denn wenn sie niemanden haben, der ihnen was abkauft, dann geht es gar nicht erst los. Jeder Mensch kann immer irgendwie Hilfe gebrauchen. Bei Fotografen entweder in Form von Motivation oder eben durch ökonomische Unterstützung, in dem man Werke kauft. Ganz einfach. Indem jemand etwas kauft, zeigt es mir ja auch als jungen Künstler, dass die Person meine Bilder gut findet. Dass nicht alles schlecht ist, was ich mache. So ähnlich war es ja auch bei mir mit dem finnischen Designer.
Treffen Sie manchmal alte Schüler oder Assistenten von Ihnen?
Ja, und manche von denen sind bis heute bei der Foto-grafie geblieben und mittlerweile ganz oben mit dabei. Das finde ich schön. Manche sind aber auch spurlos verschwunden.
Mittlerweile nehmen Sie keine grossen Projekte mehr an. Arbeiten Sie trotzdem noch?
Wenn ich heute etwas Neues anfange, dann muss es einen starken Initialfunken geben. Es gibt tatsächlich ein Projekt, das ich schon lange im Kopf habe. In den Staaten habe ich mal an einer Landstrasse ein Auto fotografieren können, das rückwärts in einen Baum geknallt ist und ausbrannte. Dadurch ergab sich ein Kontrast zwischen dem «bösen» schwarzen Hinterteil des Autos und dem makellos weissen Vorderteil. So etwas würde ich gerne im Studio nachstellen und zwar nicht beschönigt, sondern wirklich knallhart.