Pure emotion around heritage, craftsmanship and innovation.
Sabine Marcelis ist in Neuseeland aufgewachsen,
war Snowboard-Fahrerinund ist heute eine der aufregendsten Designerinnen der Gegenwart.
Sie arbeitet für Marken wie Céline und Fendi –
und erfrischt die Autoszene mit ungewöhnlichen Perspektiven und Ansätzen.
Ein Treffen in Rotterdam.
Jörn Kengelbach: Sabine Marcelis, Sie gehören nach wenigen Jahren zu den richtungweisenden Designern Europas, Sie haben bereits eine ganze Reihe unvergesslicher Arbeiten präsentiert. Können Sie uns verraten, was ein Entwurf zu einer Design-Ikone macht?
Sabine Marcelis: Zwei Dinge machen aus meiner Sicht aussergewöhnlich gute Arbeiten zu möglichen Design-Ikonen: Wenn ein Design eine ganz bestimmte Handschrift trägt – und es dabei schafft, trotzdem zeitlos zu wirken. Ich finde, dass bei vielen ikonischen Designs die Funktion gar nicht so sehr im Vordergrund stehen muss. Dinge, die eine sehr gut durchdachte Funktion haben, werden nicht automatisch zu Ikonen. Das allein reicht nicht. Sie müssen überdauern, spannend bleiben. Deswegen versuche ich auch, in meinen Arbeiten immer diese Zeitlosigkeit zu finden. Ich finde es wichtig, Dinge in die Welt zu setzen, die nicht einfach nur trendy sind – oder etwas, was die Menschen womöglich in ein paar Jahren wieder loswerden wollen.
Sie entwerfen einerseits tonnenschwere Sitzobjekte aus Granit, Quarzit und Marmor, die im Rahmen des London Design Festivals am St. Giles Square gezeigt werden, Sie präsentieren Ihre Arbeiten bei der Art Basel oder arbeiten für Marken wie Céline, Dior und Bulgari – aber auch für IKEA. Wie passt das zu Ihrer Maxime von Zeitlosigkeit?
Gerade bei dem Projekt mit Ikea hatte ich genau diese Zeitlosigkeit im Blick, auch wenn ich normalerweise eher limitierte Auflagen oder Einzelstücke entwerfe. Wenn man etwas entwirft, das von der breiten Masse gekauft werden soll, wäre es mein schlimmster Albtraum, dass Kunden es nach ein paar Jahren wieder loswerden wollen. Tatsächlich ist es überraschend, wie lange gute Designs auch von grossen Häusern Bestand haben. Auch ein solcher Auftrag lässt genug Raum, ausgefallener und zeitloser als der Rest zu sein.
Wie definieren Sie als Expertin gutes Design?
Gutes Design sollte etwas sein, das man sein ganzes Leben lang benutzen kann. Im Produktdesign sollte man ein gutes Produkt in seinem ersten Appartement bis zum eigenen Haus stehen haben können. Es muss immer relevant bleiben – unabhängig von seiner Umgebung.
Zu Ihrem Job gehört es, die Zukunft zu antizipieren. Also das zu entwerfen, was morgen und idealerweise auch darüber hinaus richtungsweisend sein wird. Andererseits braucht es manchmal viele Jahre oder sogar Jahrzehnte, um zu erkennen, was nicht nur modisch war, sondern wirklich Bestand hat. Wie gehen Sie persönlich mit Trends um?
Trends ignoriert man am besten. Sie werden von Medien geschaffen, geben Zeitschriften etwas, worüber sie schreiben können. Sie sind ein Vorwand für Unternehmen, um neue Farben herauszubringen und mehr zu verkaufen. Sie sind gefährlich, weil sie implizieren, dass es Dinge gibt, die nicht im Trend sind und die man loswerden muss. Das lehne ich ab.
Welche Designs haben Sie persönlich am meisten beeindruckt oder sogar geprägt?
Beim ersten weiss ich nicht mal, wer es entworfen hat. Aber das Objekt ist so clever gemacht! Es ist ein Dosenöffner, ein japanisches Design. Er bewegt sich von selbst, während man eine Dose aufhebelt. Ein ganz simples und perfekt funktionierendes Design. Der zweite Entwurf ist noch gar nicht so alt, vielleicht zehn Jahre. Er stammt von einer schwedischen Designerin, Jenny Nordberg. Sie hat diesen Spiegel entworfen, im Grunde genommen eine Platte aus Floatglas, das sie mit Silbernitrat bespritzt hat. Diese organischen Spritzer verändern alles an dem Spiegel. Für mich ein schönes Beispiel, wie man mit Materialien arbeiten kann. Denn jeder dieser Spiegel ist einzigartig. Das Objekt gehört zu den Designs, bei denen ich sage: Ich wünschte, es wäre von mir. Das dritte Design integriere ich auch gerne in meine eigenen Interior-Entwürfe. Ich habe es auch selbst zuhause: Das Osaka-Sofa von Pierre Paulin aus dem Jahr 1970. Es ist so vielseitig, da es aus drei verschiedenen Segmenten besteht und ganz gerade oder gebogen aufgestellt werden kann. Ich schätze diese Art von Flexibilität. Am besten gefällt mir daran, dass aufmerksame Benutzer erkennen können, dass dem Sofa dieses flexible System zugrunde liegt. Auf den ersten Blick denkt man nur: cooles Sofa. Aber wenn man genau hinschaut, steckt dahinter ein wirklich cleveres Design. Die verschiedenen Ebenen in diesem Entwurf beeindrucken mich.
Letztes Jahr haben Sie für Renault ein retro-futuristisches Showcar des ersten Twingo von 1993 vorgestellt – und damit grosses Aufsehen erregt. Was hat Sie an diesem Fahrzeug besonders gereizt?
Renault hatte mich gebeten, etwas zum 30-jährigen Jubiläum des Twingo zu entwickeln. Es ging also nicht um eine Zukunftstudie, sondern darum, die ikonischen Details des Twingo erlebbar zu machen. Ich kannte das Fahrzeug gut, hatte es aber nie als ein besonderes Auto betrachtet. Oft werden das die charmantesten Projekte, wenn man sich fragt: Was mache ich, wenn mir etwas auf Anhieb gar nicht besonders gefällt?
Sind sie mit dem Ergebnis zufrieden?
Ja. Denn ich hatte zu Beginn die Kraft des Twingo unterschätzt. Er ist genial, wenn man sich näher mit ihm beschäftigt. Das Metall der Karosserie ist innen sichtbar, die klappbaren Sitze in Verbindung mit der Rückbank schaffen Platz wie in einem Camper.
Wie haben Sie sich diesem Automobildesign angenähert?
Ich habe die Schlüsselmerkmale identifiziert und sie auf die Spitze getrieben. Zum Beispiel mit einem grossen einteiligen Rückspiegel, der in die Sonnenblende integriert ist. So werden mehrere Funktionen zu einem einzigen Objekt, und das gefällt mir am Twingo sehr gut. Es war eine Herausforderung für mich, an diesem Projekt zu arbeiten, weil ich vorher noch nie an einem Auto gearbeitet hatte. Es öffnet einem auch die Augen, was die Arbeit von Automobildesignern angeht. Es ist eine extrem anspruchsvolle Disziplin.
Das Showcar hatte auch ein typisches Sabine Marcelis-Element – ein transparentes, fluoreszierendes Lenkrad. Transparenz scheint ein verbindendes Element in Ihrer Arbeit zu sein. Woher kommt Ihre Begeisterung für durchsichtige Flächen und Materialien?
Es hat mich immer sehr angezogen, wie man Licht und Material zusammen denken kann. Da kommen ziemlich schnell Komponenten wie Transparenz, Reflexion und Farben hinzu. Diese Komponenten sind der Werkzeugkasten für das Spiel mit dem Licht – und ja: In den meisten meiner Projekte arbeite ich mit mindestens einem dieser drei Ansätze.
Wie hat sich das auf Ihre Arbeit für Renault ausgewirkt?
Meine erste Idee war, ein komplett transparentes Auto zu entwickeln, um die Konstruktion zu zelebrieren. All die Details sichtbar zu machen, wo zum Beispiel das Metall verstärkt wurde und so weiter. Aber das war technisch leider nicht möglich. Also haben wir eine doppelte Schale hergestellt. Die äussere Schicht ist nun transparent, um die Struktur sehen zu können. Die Aussenhülle besteht aus einem Stück Acryl, also Fenster und Karosserie. Durch eine Überblendung der Deckkraft von unten nach oben entsteht ein interessanter Effekt: Wenn man das Auto aus einem Winkel von 45 Grad betrachtet, ist es völlig undurchsichtig. Wenn man sich bewegt, wird es transparent. Ich finde es reizvoll, Objekte zu schaffen, die man aus verschiedenen Winkeln neu entdecken kann.
Ihre Vorliebe für Transparenz führt zwangsläufig zu Vergleichen mit Lichtkünstlern wie Olafur Eliasson oder Helen Pashgian. Sind die Vergleiche für Sie nachvollziehbar?
Absolut. Vor allem die frühen Arbeiten haben mich inspiriert, die kalifornische Light and Space-Bewegung der 1950er- bis 1970er-Jahre. Ich bewundere die Pioniere dieser Denkweise. Das spiegelt sich auch in den Materialien wie etwa Giessharze, mit denen ich viel arbeite. Der kürzlich verstorbene Bildhauer DeWain Valentine war der erste, der diese eingesetzt hat. Und auch Helen Pashgian war eine grosse Inspiration.
Recherchieren Sie viel in der Vergangenheit?
Ich versuche in meiner Arbeit nicht zu viel zu recherchieren, was andere Künstler oder Designer machen oder gemacht haben. Es ist interessanter, sich von unerwarteten Quellen inspirieren zu lassen oder einfach rauszugehen und Licht und Raum zu erleben. Zum Beispiel in der Natur.
Philippe Starck hat mal in einem Interview erwähnt, dass er Städte meide, da sie nur menschengemachte Dinge zeigten. Am liebsten sei er fernab in der Natur und noch lieber am Meer, weil das der Mensch nicht umformen könne.
Exakt. Die Natur ist der beste Designer. Wenn ich in einem Flugzeug sitze, über den Wolken und die Sonne geht unter, denke ich: Was gibt es Schöneres als das? Niemand sagt in solch einem Moment: Das ist aber hässlich. Ich versuche, in meiner Arbeit diese Momente wieder erlebbar zu machen. Ob es die Art und Weise ist, wie die Sonne tagsüber auf dem Meer oder der Mond auf dem nächtlichen Ozean glitzert oder wie ein Regentropfen irgendwo hängen bleibt, all diese winzigen Details können der Ausgangspunkt einer neuen Idee sein.
Wie macht man Entwürfe erlebbar, wenn man so gerne wie Sie mit Licht arbeitet? Machen Sie aufwendige Renderings oder Sketches?
Schon während meines Studiums waren viele Kommilitonen oft besser darin, gerenderte 3D-Skizzen anzufertigen. Ich arbeite bis heute eher mit simplen, fast naiven Skizzen. Für mich funktioniert das. Ich kann meine Ideen auf diese Weise meinem Team kommunizieren.
Machen Sie sich unterwegs Notizen?
Ich mache mir nie Notizen, wenn ich eine Inspiration habe. Ich lebe wie ein riesiger Schwamm. Und wenn ich etwas erschaffen will oder eine Projektvorgabe bekomme, schöpfe ich aus diesem Schwamm. Das funktioniert selbst in diesem Gespräch: Ich bin froh, die Fragen vorher nicht gesehen zu haben. Jetzt ist alles viel spontaner. Und Sie bekommen ehrliche Antworten.
Sie wirken nicht wie jemand, der nur spontan arbeitet. Ihre Projekte wirken sehr präzise. In Ihrem früheren -Leben waren sie Profi-Snowboarderin. Kommt daher ihre Zielorientiertheit?
Vielleicht vor allem die Entschlossenheit, etwas im Team schaffen zu wollen! Das lernt man schnell im Leistungssport: Man ist selbst in Individualsportarten nie wirklich Einzelkämpferin. Auch bei Designs muss ich immer klar mit Mitarbeitern kommunizieren, einen Plan entwickeln – und dann gemeinsam mit meinem Team an der Umsetzung arbeiten. Ich muss mein Team für jedes Projekt gewinnen, Ziele setzen, an die alle glauben.
Und wenn ihr Team nein sagt?
Nein ist keine Antwort für mich. Nein heisst für mich: Überleg noch mal! Was wäre, wenn wir es schaffen würden? Und wenn etwas schiefgeht, ist das wie beim Lernen eines neuen Snowboard-Tricks: Dann muss man analysieren, was schiefgelaufen ist. Wie kann ich besser werden, ohne den gleichen Fehler zu wiederholen? Ein Beispiel: Wir haben vor Jahren ein Projekt für Fendi gemacht, bei dem es um zehn Springbrunnen ging. Ich hatte noch nie darüber nachgedacht, wie ein Springbrunnen funktioniert. Als die Marke sagte: Cool, lass uns das machen!, dachte ich mir: Oh Gott, jetzt muss ich das tatsächlich machen. Ich lasse mich oft zu sehr ehrgeizigen Projekten hinreissen.
Als Designerin sind sie längst zur Marke geworden. Wie ist es für Sie heute, mit grossen Brands zusammen zu arbeiten?
Ganz unterschiedlich. Und fast immer herausfordernd. Klar, ich bekomme auch Anfragen, bei denen das Projekt schon fast fertig ist und man mich fragt: Kannst du das für uns machen? Wenn aber die krea-tive Freiheit fehlt, bin ich nicht interessiert. Der Mehrwert einer Zusammenarbeit zwischen meinem Studio und einer anderen Marke besteht darin, dass die Welten, die beide Seiten bewegen, miteinander verschmelzen. Das Ergebnis muss etwas sein, das ich nicht gemacht hätte, wenn es ein eigenständiges Projekt gewesen wäre. Für die Marke sollte es etwas sein, das ebenfalls einen Mehrwert hat. Dafür braucht man definitiv eine Menge kreativer Freiheit. Fendi ist wieder ein gutes Beispiel. Der Auftrag lautete ursprünglich, Möbel zu entwerfen. Das fühlte sich nicht richtig an. Also habe ich recherchiert. Das Thema Wasser tauchte immer wieder als Motiv in der Arbeit von Fendi auf – und so ergaben sich die Springbrunnen. Ich bemesse grosse Marken genau daran: An dem Mut, sich auf solche Ideen und Prozesse einzulassen.
Ihre Objekte erscheinen nahezu perfekt. Welche Bedeutung spielt die Fertigung bei Ihrer Arbeit?
Zwei Aspekte sind entscheidend: Viele meiner Entwürfe sind so minimalistisch, dass sie wirklich perfekt ausgeführt sein müssen, um zu funktionieren. Dabei ist es gleich, ob es eher um handwerkliche oder um industrielle Projekte geht. Für die Giessharzdesigns, die hier in der Werkstatt nebenan hergestellt werden, sind erstaunliche Handwerker am Werk. Ich habe sehr grossen Respekt vor ihnen. Das Gleiche gilt für das Glas, eher ein industrieller Prozess. Aber auch der muss perfekt abgestimmt sein. Ich liebe Perfektionismus. Im Moment arbeite ich an einem Projekt in Japan, das Perfektion und Handwerk auf die Spitze treibt. Die Regierung dort hat viele verschiedene Handwerksberufe identifiziert, die aussterben, weil es billigere industrielle Alternativen gibt. Es geht bei «meinem» Projekt um extrem aufwändige Lackarbeiten. Ein Prozess, der Monate dauert, Schichten über Schichten werden wie Nagellack, der aber auf Naturharzbasis hergestellt wird, auf Holzobjekte aufgetragen. Die Produkte, oft Schalen, trocknen eine Woche und dann beginnt der Handwerker mit der nächsten Schicht. Ein ganzes Dorf wurde um dieses Handwerk herum aufgebaut. Da gibt es einen Arbeiter, der das Holz neben dem Fluss bearbeitet, weil sie die Stämme auf dem Fluss transportiert haben. Und dann geht es weiter zum nächsten Experten, der den nächsten Schritt macht und so weiter. Als der Vater des heutigen Besitzers die Firma leitete, gab es 170 Angestellte, jetzt sind es noch fünf und die Bevölkerung ist überaltert. Er weiss also nicht einmal, ob es eine nächste Generation geben wird. Herzzerreissend. Und dennoch unglaublich faszinierend. Die japanische Regierung will dieses Kunsthandwerk fördern und bekannter machen. Sie versuchen, die Herstellungstechniken im Bereich des Sammlerdesigns zu verankern.
Sammeln ist gutes Stichwort. Viele Ihrer Designs sind längst begehrte Sammlerobjekte. Die Grenzen von Kunst und Design verschwimmen bei Ihren Arbeiten.
Ich arbeite in einer Grauzone. Bei manchen Projekten denke ich: Das ist definitiv Kunst und kein Design mehr. Aber der Hauptgrund, warum meine Arbeiten von Anfang an in diesem Sammlerbereich gelandet sind, ist schlicht, dass ich gerne hochwertige Materialien nutze, die in aufwändigen und teuren Prozessen bearbeitet werden. Man erreicht einen Preispunkt, bei dem es schnell um limitierte Auflagen oder Einzelstücke geht. Zum Teil liegt es auch daran, dass ich -experimentieren und die Grenzen dieser Materialien ausloten möchte, mit denen ich arbeite. Oft gibt es schlicht keine optimierte Produktionsmethode für die Massenproduktion.
Welchen Teil des Designprozesses mögen sie am liebsten?
Wenn wir in der Werkstatt sind und direkt mit den Materialspezialisten und den Produzenten zusammen-arbeiten. Industrielle Prozesse machen mir nicht so viel Spass. Bei Projekten wie denen von Ikea, macht man einen Entwurf, schickt ihn weg und irgendjemand setzt das Design um. Natürlich war es ein sehr interessantes Projekt, aber im Prozess dabei zu sein, ist mir wichtig.
Sie arbeiten auffällig viel mit Kunststoffen oder künstlichen Materialien. Was reizt Sie daran?
Es gibt ein interessantes Spannungsfeld, wenn man künstliche mit natürlichen Materialien verbindet, gerade wenn nicht klar ist, was eigentlich was ist: Deshalb arbeite ich auch so gerne mit Steinen wie Onyx und Marmor, weil die mit ihren leuchtenden Farben auch sehr künstlich aussehen können. Und diese Materialien dann mit Harz zu kombinieren, erweckt Neugierde: Welcher Teil ist natürlich? Übrigens verwischt auch bei Kunstharzen die Grenze zwischen natürlichen und künstlichen Komponenten: Früher waren es meist fünf Prozent biologische Anteile in der gesamten Rezeptur, inzwischen sind es bis zu 80 Prozent.
Sie haben auch für die Mille Miglia gearbeitet – einst das legendäre, halsbrecherische Autorennen von Brescia nach Rom und zurück, heute eine der wichtigsten Classic–Car-Veranstaltungen der Welt. Haben sie an der Veranstaltung teilgenommen?
Ja. Ich war dort, selbstverständlich. Im ersten Jahr der Zusammenarbeit entwarfen wir die Trophäen aus Kunstharz. Letztes Jahr hatte man uns damit beauftragt, eine spezielle Installation aus acht verschiedenen Skulpturen zu machen. Jede von ihnen zelebrierte Details automobiler Innovationen. Also Kolben, Motor, Hydraulik, Scheinwerfer und so weiter. Dieses Jahr entwerfen wir wieder die Medaillen und Pokale.
Was verbinden sie persönlich mit Automobildesign?
Ich habe mir noch nie gesagt: Wenn ich Geld habe, werde ich mir dieses oder jenes Auto kaufen. Aber genau das lässt mich unvoreingenommen an solche Aufträge herangehen. Ich kann mit einem leeren Blatt Papier in die Besprechung gehen und Dinge herausfiltern, die für mich als Aussenstehende interessant sind. Ich habe viel Respekt für die Automobilproduktion. Auch, weil dort so viele unterschiedliche Gewerke zusammenkommen. Die Produkte müssen sehr lange einwandfrei funktionieren. Es ist wahrscheinlich bis heute eines der grössten menschlichen Teamprojekte, ein Auto zum Fahren zu bringen.
Erinnern sie Sich, mit was sie als Kind gespielt haben?
Ich habe mit Transformers gespielt, die teils Maschine, teils Menschen sind und viel mit Lego. Wichtiger ist jedoch: Meine Schwester und ich wurden von meinen Eltern erzogen, kreativ zu sein, auch wenn sie es selbst nicht unbedingt sind. Sie wollten zum Beispiel zu ihren Geburtstagen nie etwas Materielles oder etwas Gekauftes. Sie sagten immer: Mach mir was! Und dann haben wir gebastelt. Meine Eltern haben in Neuseeland eine Zeit lang Blumen gezüchtet und auf Wochenmärkten verkauft. Ich habe Schmuck und -Taschen gemacht und es ihnen gleichgetan. Es war immer ein Ventil für mich, Dinge zu machen – das ist geblieben. Zudem ist mein Vater Ingenieur und nahm Dinge auseinander, um sie zu verstehen. Die Neugierde verdanke ich ihm, ebenso wie meine Begeisterung für Fabriken: Ich war einmal bei Bentley in Crewe in England. Das ist für mich der pure Wahnsinn, die vorbeiziehenden Fliessbänder.
Wie bewegen sie sich am liebsten fort?
Ich fahre einen Polestar.
Ein Elektroauto, auch ein Designstatement – der CEO ist zugleich der Chefdesigner.
Oh, das wusste ich nicht. Ich bin einfach glücklich damit, und ich liebe es wirklich, dass ich nie zur Tankstelle fahren muss.
Fahren Sie gerne Auto?
Ja, ich liebe es, Auto zu fahren! Es gibt mir wichtige Momente des Alleinseins während des Tages, da ja immer viele Menschen etwas von mir wollen. Im Auto kann ich nachdenken. Es hat aber auch etwas mit meiner Jugend in Neuseeland zu tun.
Inwiefern?
Für jemanden, der mitten im Nirgendwo in Neuseeland aufgewachsen ist, bedeutete ein Auto etwas ganz anderes als hier in Rotterdam. Ich habe meinen Führerschein gemacht, als ich 16 wurde, also genau an meinem 16. Geburtstag. Ich bekam den alten Isuzu Bighorn meines Vaters – und ich fühlte mich sofort frei. Die Entfernungen in Neuseeland sind riesig, sieben Stunden Fahrt waren damals keine grosse Sache für mich. Ich mag es, dass dieses Entfernungsgefühl immer noch in mir ist. In meiner Vorstellung ist die Welt viel kleiner, weil ich an einem Ort aufgewachsen bin, an dem die Dinge so weit voneinander entfernt sind. Das erste Auto hat meiner Welt einen Massstab gegeben.
Ihre Produkte strahlen Coolness aus. Sie verwenden im Gespräch häufig den Ausdruck Freude. Darf Design funny sein?
Ich halte mich nicht für einen kühlen oder ernsten Menschen. Jedes Design sollte Emotionen bei Menschen hervorrufen. Und ich möchte, dass diese positiv sind. Wenn Menschen denken, dass mein Design Spass macht, ist das grossartig.
Welche Ihrer Entwürfe sind heute bei Sammlern am begehrtesten?
Eines meiner allerersten Projekte war der Candy Cube. Wir verkaufen ihn immer noch, ein zeitloses Objekt. Er hat ein Eigenleben entwickelt, denn ursprünglich war er dazu gedacht, Taschen und Schuhe für eine Modemarke aufzubewahren. Dann wurde er als Beistelltisch bestellt. Letztes Jahr erwarb ihn das Vitra Design Museum und platzierte ihn auf seinen Plakaten neben ikonischen Stuhlentwürfen. Die neuseeländische Sängerin Lorde hat ihn mit auf ihre Tournee genommen. Ich finde es spannend, dass der Candy Cube so vieldeutig ist, dass jeder ihm seine eigene Bedeutung gibt. Die persönliche Beziehung vieler Menschen ermöglichte sogar das Entstehen eines Secondhand-Marktes für ihn. Das Verrückte ist – und das habe ich nicht erwartet – mit der Ikea-Kollektion geht es so weiter, die meisten dieser Designs waren limitiert. Inzwischen muss man ein Vielfaches des Verkaufspreises zahlen.
Gibt es etwas, das sie sammeln?
Ich besitze eine aberwitzige Menge an Sonnenbrillen.
Darunter vermutlich auch alte Snowboardbrillen mit grellen Filtern?
Auch solche. Aber Brillen haben einfach mit meiner Arbeit zu tun. Es geht um Filterung, Farbe und Glas. Das fasziniert mich einfach. Und wissen Sie: Man kann einfach das langweiligste T-Shirt oder die älteste Jeans tragen – aber wenn man es mit einer guten Sonnenbrille kombiniert, sieht man sofort grossartig aus.
Sie haben einen vierjährigen Sohn. Versteht er was seine Mutter macht?
Ja, er weiss definitiv, dass ich eine Designerin bin, weil er oft auf Objekte zeigt und fragt: Hast du das entworfen? Er weiss ganz genau, dass ich Spiegel entworfen habe. Er zeigt oft darauf. Design ist im Grunde wie das Sehen mit anderen Augen. Wer Objekte das erste Mal wahrnimmt, wie mein Sohn, der hinterfragt: Warum sieht etwas so aus? Ein Kind weiss nicht, warum es nachts dunkel wird. Kinder helfen uns, über Alltägliches neu nachzudenken.
Entwerfen Sie deswegen auch immer wieder Alltagsgegenstände?
Vielleicht. Jedenfalls kann man im Alltäglichen wunderbare Details erkennen. Ich habe mal für Audi eine Ladesäule für Elektroautos entwickelt. Die Aufgabe bestand darin, eine Ladestation für die Stadt Amsterdam zu entwerfen. Wir analysierten, welche Materialien Amsterdam interessant macht. Die Gebäude dort sind ja tief in den Sand hinein gebaut, was ihre Stabilität gewährleistet. Umgeben sind sie von Wasser, das überall ist, und die Stadt in sich selbst zurückspiegelt. Ich nutzte die Kraft dieser Materialien. Die Basis besteht aus 3D-gedrucktem Sand. Darauf habe ich die Leuchtkraft des Himmels für den oberen Teil gesetzt. Dieser transparente Teil sollte wie das Wasser der Grachten das Licht der Stadt reflektieren. In diesem laminierten Glas befinden sich Solarpaneele
… die leider immer gleich hässlich aussehen.
Genau. Sie sind immer ein Kompromiss. Also habe ich mit einem Glashersteller daran gearbeitet, diese -Solarzellen unsichtbar zu machen. Das Glas lässt immer noch genügend Sonnenstrahlen durch. Letztes Jahr habe ich in Ägypten eine grosse Sonnenuhr aus Glas mit der gleichen Art Solarzellen gebaut. Die Uhr lädt sich tagsüber auf, so dass sie sich mit dem gespeicherten Sonnenlicht nachts selbst erleuchten kann. Die Technologie ermöglicht es, dass beleuchtete Objekte im Freien völlig autark sind und sich selbst mit Energie versorgen können.
Hinterfragen ihre Auftraggeber noch Ihre Entwürfe? Oder haben die bereits zu viel Respekt vor Ihnen?
Definitiv eine Falle, in die man tappen kann. Viele Auftraggeber erwarten nichts Neues, sondern vor allem etwas Ähnliches, wenn sie mich ansprechen. Ich fordere diese Erwartungshaltung gerne heraus.