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Filmreif

Editorial  

Was Kult-Regisseur Quentin Tarantino ausmacht: nicht die subtilen Plots, die fein geschliffenen Geschichten, die elegante Kameraführung. Es sind zwei Dinge: Erstens ein Drehbuchschreiber wie ein Zitate-Revolver, bei dem eine Punchline auf die nächste folgt. Und zweitens eine unglaubliche Liebe zum Detail, die sich von der Auswahl der Musik über die Mode bis in die Besetzung der Autos zieht. Nehmen wir die ikonische Szene aus Kill Bill, in der Bill Budd vor dessen Trailer in der Wüste trifft. Worüber die beiden Haudegen sprechen (Schwerter), was Budd in der Mittagssonne trinkt (Whiskey) geht beinahe unter, weil der Cineast gebannt auf Bills Auto starrt, das scheinbar beiläufig im Hintergrund geparkt ist: Was war das nochmal genau?

Die Antwort: Es ist ein De Tomaso Mangusta, gebaut von 1967 bis 1971 – mit insgesamt 400 Stück wahrlich kein Bestseller. Und trotzdem schaffte er es gemeinsam mit dem ungleich erfolgreicheren Pantera, das Image einer Firma über Jahrzehnte zu prägen. Wem ein Ferrari oder Lamborghini zu gewöhnlich, zu verbreitet oder gar zu verlässlich war, ging zu De Tomaso.

Wer aber meint, seine Autos wären abenteuerlich gewesen, kennt die Lebensgeschichte des Firmengründers Alejandro de Tomaso nicht. Sie wäre es wert, von Tarantino verfilmt zu werden mit all ihren Details und Verästelungen, mit all dem Drama, Höhepunkt, Niedergang und Auferstehung der Marke in der Gegenwart, zwanzig Jahre nach seinem Tod.

Geboren am 10 Juli 1928 in Buenos Aires als Sohn eines sozialistischen Politikers (und gleichzeitig eines der grössten Rinderzüchters des Landes), verliess Alejandro de Tomaso mit 15 Jahren die Schule und schlug sich als Gelegenheitsarbeiter durch. Zu hart dürfte sein Schicksal allerdings nicht gewesen sein, fuhr er doch bereits in seinen Zwanzigern Autorennen in Argentinien – zu jener Zeit ein exklusives Vergnügen der Reichen und Schönen, auch im damals von Juan Perón regierten Argentinien. Nur das Beste war ihm gut genug: Bugatti, Maserati, letztere Marke sollte sein Schicksal entscheidend mitbestimmen. 

Neben seiner Rennfahrer-Karriere war Alejandro wie sein früh verstorbener Vater auch politisch aktiv und finanzierte eine Untergrund-Zeitung, deren Ziel war, Ex-General Juan Perón an der Staatsspitze loszuwerden (man kennt ihn als Mann von «Evita» in der gleichnamigen Schmonzette mit Madonna in der Hauptrolle). Im Zuge der Unruhen wurde ihm der Boden in Argentinien zu heiss, und kurz bevor das Militär Perón tatsächlich wegputschte, emigrierte der Salon-Sozialist de Tomaso 1955 nach Italien, das Land seiner Vorfahren.

Dort setzte er seine Rennfahrer-Karriere fort, die trotz zweier Teilnahmen an Formel-1-Rennen im besten Fall als unvollendet bezeichnet werden kann, fort. In Bologna kam er in Kontakt mit den Brüdern Maserati, wo er Testfahrer für deren Team O.S.C.A. werden sollte. Eines Tages stand dort eine Amerikanerin vor ihm, blond, einen Kopf grösser als er. Sie fuhr ebenfalls Rennen, und sie nannte sich Isabelle, obwohl ihr eigentlicher Name Elizabeth Haskell war. Praktisch: Ihr Grossvater William C. Durant war einer der Gründer des US-Automobil-Giganten General Motors. «1957 wird in Florida geheiratet – und Alejandro ist die gröbsten finanziellen Sorgen los», wie ein Biograph später pointiert anmerkt.

In den folgenden Jahren machte das schnelle Paar die Rennstrecken Europas unsicher, ohne allerdings einen grossen Fussabdruck in den Geschichtsbüchern zu hinterlassen. Bei einigen Rennen teilten sie sich sogar das Auto, etwa bei den Langstrecken-Klassikern in Sebring oder am Nürburgring. In seiner gesamten Karriere sollte de Tomaso zwei Klassensiege erringen, und zwar jeweils 1958 in Le Mans und Sebring.

Schliesslich musste ein eigenes Auto her. Man übersiedelte nach Modena und ging unter die Auto-Hersteller: 1959 entstand das erste Formel-2-Auto unter dem Namen De Tomaso, im Heck ein bewährter OSCA-Motor mit 1,5 Liter Hubraum, an der Front ein stolzes Logo: Das Brandzeichen von Mutters Farm vor argentinischer Flagge.

Ob Indy, Formel 3, 2 oder 1, de Tomaso baute sie in den kommenden Jahren alle. Fuhr er seine Formel-1-Autos anfangs noch selbst, vertraute er in den kommenden Jahren zusehends auf die Arbeit echter Profis und arbeitete auch auf technischer Seite immer mehr mit solchen zusammen: Fahrer Jacky Ickx oder Piers Courage, Ingenieure wie Alberto Massimino oder Gian Paolo Dallara. Für Frank Williams baute de Tomaso den F1-Rennwagen der Saison 1970, genannt 505/38. Dieses Auto sollte tragischerweise in die Rennhistorie eingehen, als Piers Courage beim GP der Niederlande darin verbrannte. Das war das Ende der Monoposto-Ambitionen von de Tomaso.

Bereits 1963 waren in Modena parallel zu den Renn- auch die ersten Sportwagen entstanden. Der Vallelunga, so der Name des kleinen, leichten Sportwagens, gilt als einer der ersten Mittelmotor-Sportwagen überhaupt. Er bestand aus einen Zentralrohr-Rahmen wie damals im Monoposto-Sport üblich. Darüber wurde eine Fiberglas-Karosserie gestülpt. Der Ford-Motor war als tragendes Teil mitkonstruiert, zusammengebaut wurde der nur 726 Kilo schwere Vallelunga von der Carozzeria Ghia, die de Tomaso später übernehmen sollte. Das Auto war ein absolutes Minderheitenprogramm; Quellen sprechen von 53 gebauten Stück.

Doch im Hintergrund braute sich bereits Wilderes zusammen, der Clash zweier riesiger Egos. Auf der einen Seite der heissblütige Alejandro de Tomaso, auf der anderen Seite der rennfahrende amerikanische Hühnerzüchter Carroll Shelby, man kannte einander von den Rennstrecken dieser Welt, vor allem Europas, wo Shelby vor allem bei Langstreckenrennen erfolgreich unterwegs war. Shelby hatte seine Rennfahrer-Karriere 1960 beendet und war wie de Tomaso unter die Rennwagen-Hersteller gegangen. Seine Cobra war nicht viel mehr als ein Motor auf vier Rädern rundum. Brutal, leicht, radikal, aber mittlerweile den Sieben-Liter-Chevrolets unterlegen, wie sie McLaren in Amerika einsetzte. Dagegen wollten die beiden ein eigenes Projekt setzen.

Der Deal sah folgendermassen aus: Shelby sollte den Rennwagen, den man in weiterer Folge auch an andere Teams verkaufen wollte, finanzieren. Von de Tomaso sollte das leichte Zentralrohrrahmen-Chassis kommen. Ausserdem würde man die Ford/Cobra-Motoren auf sieben Liter Hubraum aufrüsten. Name des spektakulären Projekts: «P70», Projekt sieben Liter. Um es kurz zu machen: Dieses Auto, von Corvette-Stingray-Designer Peter Brock spektakulär gezeichnet, sollte kein einziges Rennen fahren und schliesslich sogar ganz aufgegeben werden, noch bevor es fertig war. Die beiden Egos waren übereinander gestolpert und verschwendeten fortan kein gutes Wort mehr aneinander. Hitzkopf de Tomaso verlor die Geduld mit Shelby, und dass Ford diesen mit dem später so erfolgreichen GT40 betrauen sollte, hat dessen Ehrgeiz in das de-Tomaso-Projekt wohl auch nicht gerade verstärkt. Aber vielleicht war es sogar ganz gut, dass sich der P70 nie auf der Rennstrecke bewähren musste: Die Zeit der Zentralrohr-Rahmen war spätestens mit dem Auftauchen des GT40 mit seinem super-stabilen Gitterrohr-Rahmen vorbei.

Noch beim Mangusta, dessen Rückgrat tatsächlich aus dem P70 übernommen wurde, beklagten Fahrer die mangelnde Fahrpräzision – selbst im normalen Strassenverkehr. Und doch war der Mangusta ein Wendepunkt in der Historie von de Tomaso: Weg von den Renn-, hin zu Luxus-Sportwagen. Dazu kam ihm gerade recht, dass die in ähnlichen Gewässern fischende Firma Iso (Rivolta) einen von Designer Giorgetto Giugiaro gezeichneten Entwurf von der Bettkante gestossen hatte. So entstand der Mangusta, und der Name ist eine Retourkutsche an Ex-Partner Shelby: Ein Mungo, so die Übersetzung aus dem Italienischen, sei das einzige Tier, das Cobras besiegen könne, so de Tomaso.

Auch im Ford-Headquarter Dearborn war man auf die italienische Edelschmiede aufmerksam geworden. So entstand eine Partnerschaft für einen gemeinsamen Sportwagen, den Pantera. Die Idee: mit italienischem Design Chevrolets erfolgreiche Corvette anzugreifen. 1970 kaufte sich der US-Gigant in Modena ein. Zur Mutterfirma von de Tomaso gehörten damals auch Ghia und Vignale, und das ist genau der Grund, warum Ford diese Namen bis heute verwendet.

Das Firmengeflecht des umtriebigen de Tomaso wuchs. Ghia gehörte seit 1967 zum Konzern, Vignale ab 1969. 1971 entdeckte de Tomaso seine Liebe zu Motorrädern und übernahm Benelli, ein Jahr später Moto Guzzi. 1976 erweiterte man das Portfolio um den Kleinwagenhersteller Innocenti. Doch der grosse Streich war die Übernahme von ausgerechnet Maserati, jener Marke, mit der er seine ersten Rennen gefahren war und die ihn nach seiner Ankunft in Europa aufgenommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt gab es in ganz Italien nur noch einen einzigen Mann, der mächtiger war als Alejandro de Tomaso, und das war der legendäre Fiat-Boss Giovanni Agnelli.

Doch der Zenith war längst überschritten. Die Zeiten hatten sich weitergedreht und mit Kleinserien elitärer Sportwagen liess sich nicht mehr so viel Geld verdienen, und die übernommenen Firmen waren durch die Bank marode. Ausserdem hatten sich Sportwagen-Kunden an ein Qualitätslevel gewöhnt, das die Bastelbude de Tomaso schlicht nicht bieten konnte. Sogar die an und für sich diesbezüglich recht schmerzfreien Amerikaner akzeptierten die Panteras erst, nachdem sie von Ford nachgebessert wurden. Von Pantera-Eigner Elvis Presley ist die Anekdote überliefert, er habe seine Karre mit einer Pistole durchlöchert, als diese wieder einmal streikte, was insofern glaubwürdig ist, als dass der Besitzer von Graceland seine TV-Geräte ja auch mit Faustfeuerwaffen auszuschiessen pflegte.

In Modena lief derweil die Zeit des Patriarchen langsam ab. Die Zahlen zeigten dramatisch nach unten. Alejandro de Tomaso verkaufte eine Beteiligung nach der anderen und immer weniger Autos. Einzig die beiden Serien des Pantera erzielten vierstellige Zahlen, während von der Limousine Deauville, optisch einem Jaguar nachempfunden, in 17 Jahren gerade einmal 244 Stück entstanden, vom Coupé Longchamp immerhin rund 400.

1993 erlitt de Tomaso einen Schlaganfall und war seither an den Rollstuhl gefesselt. Seine Frau und Santiago, einer der drei Söhne aus erster Ehe, übernahmen den Laden und versuchten einen Neustart mit dem Kapital des Amerikaners Kjell Qvale. Das Ergebnis war der Qvale Mangusta, im Prinzip kein schlechtes Auto mit – traditionell – Ford-Technik unter der Haube. Nach 292 gebauten Autos bis zum Jahr 2002 war trotzdem Schluss. Ein Jahr später nahm der Unermüdliche einen letzten Anlauf für einen neuen Pantera, doch zu spät: Am 21. Mai entschlief Alejandro de Tomaso in Modena. Ein Jahr später war auch seine Firma Geschichte. Seine geliebte Frau Isabelle verliess Italien, um sich in Amerika der Pferdezucht zu widmen.

Danach wechselte der grosse Name mehrfach den Besitzer, bevor im Jahr 2014 das chinesische Unternehmen ITV (Ideal Team Venture) übernahm. Nun soll nach zwei Jahrzehnten Pause wieder ein De Tomaso auf unsere Strassen rollen: Das Hypercar heisst P72, wird von einem 700-PS-Ford-Motor angetrieben und hat statt eines verwindungsfreudigen Zentralrohr-Rahmens ein Carbon-Chassis. Gefertigt wird übrigens nicht mehr in Modena, denn die alten Hallen von De Tomaso sind heute bloss noch ein Fall für Freunde von Lost Places: Der P72 wird bei HWA in Deutschland gefertigt, und zwar alle 72 handverlesenen Exemplare. Edel, besonders, spektakulär: Dem alten Patriarchen hätte es vermutlich gefallen.