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Alfredo Häberli

Editorial  

B.I. Collection (BIC): Als du als Kind mit deinen Eltern aus Buenos Aires in die Schweiz gezogen bist, hattest du eine Kiste Spielzeugautos dabei. Diese Autos hätten dich inspiriert, Designer zu werden, heisst es. Befand sich in dieser Kiste auch das Modell eines Porsche 356?

Alfredo Häberli: Nein, soweit ich weiss, gab es bei Matchbox keine Porsches. Mein Lieblingsauto war ein Iso Grifo, den der sehr junge Giorgio Giugiaro bei Bertone designt hatte. Viele Jahre später habe ich herausgefunden, dass alle meine Lieblingsautos von Giugiaro entworfen wurden – auch diese kistenförmigen Autos wie der Golf GTI und der Fiat Panda –, in Büchern habe ich später noch mehr Entwürfe von Bertone kennengelernt. Aber dieser Iso Grifo war tatsächlich einer der Gründe, warum ich Design studiert habe.

BIC: Warum ist das Design des 356 SC auch 75 Jahre nach seiner Präsentation noch so zeitlos? 

AH: Ich denke, es liegt vor allem an der skulpturalen Form. Porsche hat die Karosserie des 356er, die nur aus fünf Teilen besteht, mit sehr wenigen Fugen gestaltet. Diese skulpturalen Formverläufe habe ich wieder erkannt, als wir das Auto komplett auseinandergenommen und mattgeschliffen haben. Es ist ein sehr eigenständiges Design, das mich stark berührt hat, vergleichbar mit Skulpturen von Jean Arp oder Constantin Brâncuși.

BIC: Dein Art Car hat ein sehr reduziertes Design. War dieser Ansatz aufgrund deiner persönlichen gestalterischen Ausdrucksweise unabdingbar? Welchen Anteil hat das Design des 356er? 

AH: Als ich die Anfrage bekommen habe, hatte ich grossen Respekt. Eine Skulptur mit derart ikonischem Design darf man eigentlich nicht anfassen, höchstes unterstreichen in seiner formalen Qualität und Reduziertheit. Zuerst hatte ich eine andere Projektidee, aber das Porsche Zentrum Zürich hat mich überzeugt, wirklich Hand anzulegen. Dann habe ich gedacht, okay, dann male ich selbst. Ich habe versucht, die wunderschönen Formverläufe zu unterstreichen, zu betonen und ihnen noch mehr Gewicht zu verleihen. Mit Respekt, aber auch mit Bescheidenheit im Sinne von: Ich nehme mich zurück und lasse das Auto, wie es ist. Von weitem sieht man nicht einmal, dass gemalt wurde. Erst wenn man näherkommt, werden die Pinselstriche sichtbar. 

BIC: Apropos Pinsel: Ist die Wahl der Technik dem Auto und seiner Zeit geschuldet? 

AH: Ich habe mich mit dem 365er auseinandergesetzt und festgestellt, dass jede Karosserie ein Unikat ist. Die Türen wurden damals von Hand geformt und geschweisst, jede hat eine eigene Nummer, die zur Karosserie passt, dasselbe gilt für Kofferraum- und Motordeckel. Diese Handarbeit wollte ich mit meinem Design unterstreichen – insbesondere in einer Zeit, in der Art Car sehr laut geworden sind. Sie müssen auf kleinem Bildschirm und insbesondere auf Social Media funktio-nieren. Dem wollte etwas entgegensetzen und gleichzeitig den 356er ins Heute bringen. Darum habe ich nicht mit Folierung gearbeitet, sondern mich an die Original-Karosserie gewagt.

BIC: Du sprichst vom Porsche 356 als Skulptur. Gibt es andere Marken oder Modelle der Automobilgeschichte, denen du dieses Prädikat zugestehst? 

AH: Meiner Meinung nach ist Porsche in dieser Hinsicht beispielhaft. Vielleicht, weil keine Autodesigner am Werk waren, sondern Ingenieure, die sich gefragt haben: Was können wir weglassen? Die Designs sind reduziert, optimiert, minimiert – und das spürt man bis heute. Auch der Taycan hat dieses Skulpturale und nur wenige Fugen. Italiens Autobauer, Ferrari und Maserati etwa, haben ebenfalls viele wunderbare Skulpturen hervorgebracht. Mir gefällt fast alles aus den 1960er-Jahren, die Zeit, als die Autos wirklich modern wurden. 

BIC: Der Titel des Projekts lautet «Das Gewicht der Leichtigkeit». Stand er bereits zu Beginn fest oder subsumiert er die abgeschlossene Arbeit?

AH: Es ist tatsächlich so, dass der Titel oft erst während des Prozesses entsteht, durch eine Eingebung, die man nicht steuern kann. Auch bei diesem Projekt kam der Titel erst, als ich mich mit der Qualität der Skulptur auseinandergesetzt habe. Ich habe mich gefragt: Wie bringe ich dieses Modell ins Hier und Heute? Dabei habe ich festgestellt, dass das Gewicht, oder eben die Leichtigkeit, bei Porsche früher eines der wichtigsten Themen war, aber mit den Jahren ging sie vergessen. Für mich war es wichtig, nochmals darüber nachzudenken, wie leicht der 356 ist – und wie schnell. Es ist ein beispielhaftes Auto, das sich auch 75 Jahre später fährt, als wäre es neu. Aber ich muss zugeben, dass ich bei diesem ikonischen Projekt das Gewicht der Historie gespürt habe.

BIC: Du hast Uhren, Möbel und viele andere Gegenstände gestaltet. Woran liegt es, dass ausgerechnet Autos derart starke Emotionen auslösen?

AH: Mich berühren nicht alle Autos, nur jene, die eine Seele haben. Vielleicht ist es auch der Moment der Freiheit, wenn man allein unterwegs ist: der Fahrtwind, die Komplexität der Geräusche, der Duft von Sinnlichkeit. Mit Autos ist es wie bei guter Kunst: Ich gehe in eine Ausstellung und bestimmte Bilder und Skulpturen berühren mich, andere nicht. Ich muss nicht einmal wissen, warum, aber es passiert etwas in mir. Das verlange ich auch von meinen eigenen Entwürfen. Nicht geht raus, bevor ich nicht sage: Jetzt stimmt es, das Design kommuniziert. Es passiert etwas, es regt mich zu einer Frage an, es berührt mich – oder ich finde es einfach nur schön. Das ist, was ich mit Seele meine. Ob bei Leuchten, Uhren, Möbeln oder halt eben Autos.

BIC: Der von dir gestaltete Art Car wird Ende Jahr versteigert und einen neuen Eigentümer finden. Siehst du dein Werk eher als Gebrauchsgegenstand oder als Kunstwerk?

AH: Ich mache keinen grossen Unterschied zwischen Kunst und Gebrauchskunst. Auch ein Bild hat eine Funktion, es muss mich berühren, es muss mein Leben bereichern. Dasselbe gilt für ein Auto, auch wenn es ein Industrieprodukt ist. Der grosse Unterschied ist, dass beim Autodesign viele industriell bedingte Restriktionen bestehen.

BIC: Welches Auto fährst du privat?

AH: Ich fahre drei. Einen neuen Porsche 928, einen 911er mit Jahrgang 1977 und einen Saab 900 Cabriolet.

BIC: Damit ist die Frage, ob du deine Autos nach Design oder Funktionalität auswählst, bereits beantwortet. Der Saab 900 ist gewissermassen ja auch eine Ikone, die beiden Porsches sowieso.

AH: Der Saab 900 ist faszinierend, weil er gleichzeitig sehr funktional ist. Ich habe ihn seit den 1990er-Jahren, eines der letzten hergestellten Modelle also.

BIC: In welcher Farbe?

AH: Schwarz in beige. Ein Vierplätzer, der sich super fährt, ob im Winter oder Sommer. Ein Passepartout, der polarisiert. Auch der Porsche 928 hat fantastische skulpturale Qualitäten. Er wurde 1978 designt und ist bis heute avantgardistisch.

BIC: Welche Farbe hat der 911er?

AH: Platin Diamant, vereinfachend sage ich goldig, im Innern Kork, Naturleder und Velour, super Seventies also. Die Farbwahl stammt von der Vorbesitzerin und ich muss sagen, es hat Mut gebraucht, ihn in dieser Farbkombination zu kaufen. Heute kann ich mir nichts anderes vorstellen, denn mit diesem Platin Diamant passt er sowohl in die Natur wie auch in die Stadt. Das Auto ist interessant und gleichzeitig alltagstauglich, auch bezüglich seiner Dimensionen. Der Satz Gewicht der Leichtigkeit passt darum auch zum 911er. Der Saab ist ebenfalls schmal – und doch breit genug. Ich fühl mich wohl, habe genug Raum. Ein Auto muss nicht nur meine Emotionen ansprechen, es muss alltagstauglich sein, zumal ich ja eher gross bin. Auch der 356er bietet überraschend viel Platz. Bei italienischen Autos ist es leider oft so, dass ich den Kopf anschlage. Da muss ich sagen: Emotional sensationell, aber sorry, da hört der Spass auf.