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Eine einzigartige Realität
im Automobilpanorama

Editorial  

Zagato Atelier, das in der dritten Generation von Andrea Zagato und seiner Frau Marella Rivolta geführt wird, ist 102 Jahre alt. In seiner jahrhundertelangen Geschichte hat es sich stetig alle zehn Jahre erneuert, wie es sein Gründer Ugo Zagato beabsichtigte. Dabei blieb das Unternehmen stets seiner rationalistischen Philosophie und seinen Grundsätzen treu und arbeitete mit 44 verschiedenen Fahrzeugherstellern wie Alfa Romeo, Aston Martin, Bentley, Bugatti, Ferrari, Lamborghini, Lancia, Maserati und Porsche zusammen, um nur einige zu nennen. Auf dieser Reise wurden in über 100 Jahren mehr als 500 Sammlermodelle geschaffen. Es kam oft vor, dass die Automarken von Anfang an einige der markanten Designmerkmale von Zagato aufgriffen, die später zu ihren eigenen Symbolen wurden.

Über lange Strecken wurde das Atelier von den grossen Automobilherstellern als externe Alternative, aber nie als Konkurrenz der eigenen Design-Abteilung wahrgenommen. Im Gegenteil: durch die Schaffung von Sammlermodellen, welche mit der Zeit wertvoller werden, wurde ein Mehrwert geschaffen. Das ist einer der wichtigsten Gründe, warum Zagato in der Automobilwelt als einer der ganz wenigen seine Kreationen unter dem offiziellen Trademark des jeweiligen Herstellers lancieren kann. 

B.I. Collection: Was sind Eure Inspirationsquellen?

Andrea Zagato: Das Design von Zagato war immer von einer rationalistischen Idee inspiriert, bei der keine künstlerischen Elemente hinzugefügt wurden und alles, was nicht notwendig war, entfernt wurde. Laut Enzo Ferrari war das Endergebnis umso schöner, wenn das Auto im Rennsport erfolgreich war. Diese Überzeugung wurde später in «essentielle Schönheit» umgetauft und ist heute immer noch wichtigste Grundlage unsere Philosophie. Darüber hinaus, finde ich viel Inspiration bei Concour d’Elegance Veranstaltungen auf der ganzen Welt. Marella Zagato: Das Leben selbst bietet mir Inspiration! Um ein Designer zu sein, braucht man Formen der Inspiration, die ich persönlich in vibrierenden Städten, bei interessanten Menschen und ihren modischen Ausdrucksformen finde. Aber ich habe auch erkannt, dass sich Geschmack mit der Zeit anpasst. Das merke ich immer bei mir selbst, wenn ich in einem kleinen Urlaubsort bin und mich zunächst umschaue, was die Modegeschäfte oder Galerien zu bieten haben und ich nicht so begeistert bin. Nach 2 Wochen ändert sich mein Blick auf die Dinge und alle lachen über mich und sagen: Time to go! Ich denke auch, um kreativ zu sein, muss man im Leben leiden – alle faszinierenden Künstler, die ich kenne, haben ein inneres Trauma und müssen es durch ihre Kunst ausleben.

BIC: In welcher Entstehungsphase des Prozesses seid Ihr am glücklichsten?

AZ: Für mich ist der aufregendste Moment, wenn ich gedanklich ein neues Projekt beginnen kann. Ich weiß schon vorher genau, welche Kriterien mir für das Fahrzeug wichtig sind und welche ich ausarbeiten will. Schon vor dem Briefing habe ich mein inneres Bild im Kopf entwickelt und gestaltet. Dieser Prozess macht mir immer die größte Freude. Wenn das Projekt Fahrt aufnimmt, arbeite ich schon am nächsten…

MZ: Für mich ist es der Moment, in dem alle Details, die wir im Briefing festgelegt haben und die im Laufe des Projekts erarbeitet werden müssen, im Virtual Reality Center digital zusammengefügt werden. Im technischen und gestalterischen Prozess fallen mir enorm viele Details auf, und ich bin am glücklichsten, wenn ich endlich in der virtuellen Realität erkenne und spüre: Das ist es!

BIC: Welche Persönlichkeiten haben Euch am meisten beeinflusst? 

AZ: Mein Großvater hat mir gesagt, wenn man überleben will, sollte man das Unternehmen jede neue Dekade erneuern. So hat unser Unternehmen schon 10 Mal eine Metamorphose durchgemacht, die wir eigens in unseren 10-Jahresbüchern aufzeigen und festgehalten haben.

MZ: Mein Vater – ich kann nicht sagen, ob es wirklich gut oder schlecht war, aber er hatte einen großen Einfluss auf meine Entscheidungen und Wahlmöglichkeiten. Auch wenn dieser Einfluss mich oft zu gegenteiligen Reaktionen geführt hat.

BIC: Welche Menschen sollten generell mehr geschätzt werden?

MZ: Das ist definitiv eine Frage für mich! Hier möchte ich von einem kleinen Erlebnis erzählen, als wir vor drei Wochen mit unserem weißen Vanquish Coupé auf dem Rückweg von Mille Migla waren. Um etwas Kühles zu trinken, parkten wir vor einem kleinen Café in Mailand, als uns ein holländischer Gast ansprach. Er sagte: «Entschuldigung, aber ist das ein Aston Martin Zagato? Ja, antwortete ich, und er freute und bedankte sich überschwänglich dafür, dass wir diesen Wagen fahren würden und er ihn somit anschauen konnte. «Ich kann mir zwar keinen eigenen kaufen, aber so kann ich ihn wenigstens bewundern!» Ich bin der Meinung: Wir machen Autos, die absolut zum Fahren gemacht sind! Wie kann man ein Auto kaufen und es nicht fahren? Es geht um eine emotionale, sensorische Erfahrung, die mehr erfordert, als es nur anzusehen! Es ist so, als würde man ein Kleid kaufen und es mit einem Preisschild ungetragen im Schrank hängen lassen! Ein Auto muss in seiner Gesamtheit wahrgenommen und erfahren werden.  Vor kurzem habe ich beispielsweise einen DB4 Stirling Moss eines Kunden zu einer Veranstaltung gefahren. Unser Mechaniker warnte mich, dass es fast unmöglich sei, dieses Auto auf der Straße zu fahren. «Aber natürlich werde ich dieses Auto fahren!», entgegnete ich vehement. Und es hat mich so glücklich gemacht, diese Ikone selbst fahren zu können, obwohl es zugegebenermaßen eine große Herausforderung war. Aber am Ende ist es ganz einfach: Man muss auf den Motor hören, er kommuniziert mit einem! 

BIC: Welcher Aspekt ist im Designprozess wichtiger – Leichtbau oder Aerodynamik?

AZ: Gewicht ist irrelevant, und besonders bei Elektroautos hat es keine große Bedeutung mehr. Für mich ist ausschliesslich die Designsprache und die Qualität der Verarbeitung entscheidend. 

BIC: Das Design einiger vollelektrischer Autos ist, gelinde gesagt, nicht sehr elegant. Woran liegt es, dass ein vollelektrisches Auto offenbar keine Designschönheit sein kann? 

AZ: Ich sehe noch keine eigene Designsprache für Elektroautos, das einzige neue Element ist der geschlossene Kühlergrill. Im Moment kopiert man das neueste Modell der endothermen Motoren und sucht nach einem eigenen Stil. Darüber hinaus ist die technische Entwicklung noch nicht abgeschlossen.

BIC: Sind die Eleganz und Schönheit eines Fahrzeugs das Ziel oder die logische Konsequenz eurer Arbeit? 

AZ: Für uns ist das Hauptziel. Aber um langfristiger zu denken, sollte immer ein bestimmter Zweck dahinterstehen.

BIC: Welche Designsprache wird in den nächsten 5 Jahren dominieren?

AZ: Immer, wenn man unsicher ist, was die Zukunft bringt, schaut man in die Vergangenheit. Jeder fühlt sich im Moment unwohl, also feiert man ikonischen Modelle oder Evergreens und versucht, sich von den besten klassischen Modellen inspirieren zu lassen. Auf der anderen Seite sehe ich eine klare Tendenz zur Disruption bei Konsumfahrzeugen. Sie versuchen, das Gegenteil zu tun und die bestehenden Modelle neu zu gestalten.

BIC: Wie wird Deiner Meinung nach, ein Sportwagen im Jahr 2050 aussehen?

AZ: Wahrscheinlich werden Sportwagen nur noch auf der Rennstrecke fahrbar sein und daher eine völlig freie Form haben. In den letzten 20 Jahren haben die Leute die ultimative Garage gebaut, um ihre Autos auszustellen und sie ihren Freunden zu zeigen. Wenn man heute sehr reich ist, kauft man sich eine eigene Rennstrecke, um mit seinen Freunden Rennen zu fahren, und dann spielt es keine Rolle mehr, ob die Autos homologiert sind oder nicht.

BIC: Du erwähnst immer, dass Zagato der Meister des «Gran Turismo» ist. Welcher Gran Turismo der aktuellen Modelle auf dem Markt ist Dein persönlicher Favorit?

AZ: Der schönste Gran Turismo unter allen aktuellen Autos ist der Aston Martin V12 Heritage Zagato. Das war auch der Grund, warum ich Aston Martin überzeugt habe, die Zagato Twins zu bauen.

BIC: Welche Chancen siehst Du für alternative Antriebssysteme wie synthetische Kraftstoffe?

AZ: Die technologische Herausforderung ist heute durch die Konzentration der Marken in wenigen großen Automobilkonzernen zu bewältigen. Eine Strategie, die zu einer systematischen Standardisierung aller Komponenten führen wird. Wenn sich darüber hinaus der Elektromotor durchsetzt, wird die Standardisierung aller Teilsysteme des Automobils immer offensichtlicher und unvermeidbarer. In diesem Szenario könnte das Design zum Hauptelement der Differenzierung werden und die Geschichte der Modelle – mehr noch als die Geschichte der Bonnet brands (die mit einer veralteten Technologie verbunden sind) – zum wichtigsten Wettbewerbsvorteil. Synthetische Kraftstoffe werden, meines Erachtens durch die neuen Vorschriften der Regierung abgeschafft.

BIC: In seiner langen Geschichte hat das Haus Zagato bereits mit einer Reihe von Marken zusammengearbeitet. Mit wem würdet Ihr gerne noch zusammenarbeiten?

AZ: Alpine! Ich habe schon einmal mit Luca de Meo, dem «Re-Inventor von Alpine» und meines Erachtens, einem der besten Automobilmanager zusammengearbeitet, und ich würde es gerne wieder tun. Außerdem ist Alpine ein französisches Kult-Auto und mit Zagato haben wir bisher noch nicht mit französischen Marken zusammengearbeitet.

MZ: Ich mag die Marke McLaren, ich mag ihre Geschichte und ihre Rennkultur. Ich denke, sie könnten einen minimalistischeren Stil gebrauchen, aber mit der gleichen Aggressivität.

BIC: Zagato ist vor allem für sein Automobildesign bekannt. Ihr entwerfet aber auch andere Produkte wie Fahrräder oder Motorräder. Gibt es weitere Produkt, die Ihr gerne entwerfen würden?

AZ: Ein Motorboot. An diesem Proejkt arbeiten wir bereits und werden es im kommenden Jahr vorstellen.

MZ: Ein Haus oder Hotel – ich liebe Innenarchitektur. Mein Bruder ist Architekt in Amerika und ich habe schon einige Projekte mit ihm gemacht und würde gerne das Gleiche hier in Italien machen. Wer weiß, wir sind bereits in ersten Gesprächen mit einem kanadischen Luxuskonzern über ein gemeinsames Hotelprojekt.

BIC: Wie sieht das Profil eines Zagato-Kunden im Jahr 2022 aus?

AZ: Sie sind sicher klug genug, ein Sammlerstück vor einem Konsumgut, ein bedeutendes Modell vor einem weniger bedeutungsvollen zu wählen.

BIC: Wie unterscheidet sich der Zagato-Kunde von heute von den Kunden von vor 50-60 Jahren?

AZ: Vor 50-60 Jahren gab es Gentleman Drivers und Racing Drivers.

MZ: Heute sind es Sammler.

BIC: Ihr Großvater, Ugo, war ursprünglich im Flugzeugbau tätig. Welchen Einfluss hatte diese Erfahrung auf das Automobildesign von Zagato?

MZ: Dieser Technologietransfer ist die Sprache des Zagato-Designs. Aufgrund der stilistischen Übereinstimmung mit der Idee des Gründers Ugo Zagato und der Weigerung, den Trends der Zeit zu folgen, werden alle Zagato-Versionen – ob zweitüriges Coupé oder Speedster/Roadster – zu Sammlerstücken.

BIC: Viele der traditionellen «Karosseriebauer» haben im Zeitalter von CAD und Massenproduktion aufgehört zu existieren. Welche Eigenschaften ermöglichen es Zagato, bis heute erfolgreich zu sein?

AZ: Die Schaffung von schlanken Produktionslinien in den Automobilhersteller-Werken und die Verstärkung der internen Styling-Zentren hat die meisten der traditionellen Karosseriebauer und externen Designstudios verschwinden lassen. Zagato hat nie große Serienmodelle entworfen oder produziert, sondern immer maßgeschneiderte Serien in begrenzten Stückzahlen.

BIC: Welches ist das bedeutendste Design in der Geschichte von Zagato? Welches ist Dein Lieblingsauto?

AZ: Immer das nächste! Wenn ich aber einige Modelle aus der Vergangenheit herausgreifen müsste, würde ich folgende wählen:

  • Alfa Romeo 8C 2300 M Aerodinamica & Lancia Aprilia Sport aus der Vorkriegszeit
  • Ferrari 250 GTZ und Aston Martin DB4 GTZ aus der Nachkriegszeit
  • Lamborghini Raptor & Maserati Mostro Barchetta bei den Zeitgenossen

BIC: Was ist der beste professionelle Rat, den Ihr je erhalten haben?

AZ: Als Giorgetto Giugiaro zu mir sagte: «Wenn wir nicht schneller und flexibler sind als die Automobilhersteller, haben wir keine Daseinsberechtigung.»

MZ: Für mich war Alejandro de Tomaso, der ein Freund meines Vaters war, ein wichtiger Ratgeber. Er war wirklich eine starke Persönlichkeit. In vielerlei Hinsicht genial, vielleicht nicht unbedingt in geschäftlichen Dingen, aber er hat mir beigebracht, wie man das Leben im Allgemeinen meistert. Seine Frau Isabella ist immer noch eine gute Freundin von mir.

BIC: Worauf sind Sie am meisten stolz?

AZ: Dass unser Unternehmen sein 100-jähriges Bestehen in einem guten und sicheren Zustand erreicht hat und laut des Magneto Magazins heute die Nummer eins unter allen Karosseriebauern der Geschichte ist.

BIC: Mit welcher berühmten Persönlichkeit würden Sie gerne einmal einen Sommerabend verbringen?

MZ: Elon Musk ist bestimmt ein verrückter, visionärer Investor und ich würde ihn gerne einmal bei einem Abendessen ausquetschen.

AZ: Ich würde gerne mit jemandem zu Abend essen, der mir die momentanen Geschehnisse der Welt einfach erklären kann und mir sagt, was passieren wird. Die Welt ist im Moment so komplex und verwirrend.

BIC: Welche Eigenschaften schätzen Sie an Ihrer Frau Marella am meisten?

AZ: Sie hat viele, großartige Eigenschaften wie Klasse, guten Geschmack, einen scharfen Verstand und sie ist blitzschnell in der Lage, von Zahlen zu Farben zu wechseln. Sie ist schön, aber genauso liebe ich all ihre Fehler.